05.06.2023 Karin Reichmuth

 

Anlässlich des KulturTopfs von KulturZürichseeLinth vom Montag, 05. Juni 2023, in Amden wurde die KulturMarke an Karin Reichmuth überreicht.

Die Arbeiten der Bildhauerin Karin Reichmuth vereinen die klassischen bildhauerischen Ideale mit der Welt der Gegenwart. Was einfach klingt, ist allerdings ein gewagtes Spiel mit Widersprüchen. So beginnt ein Astronaut aus Marmor zu schweben und ein Octopus aus Stein wird lebendig.

Da ist der Glanz und der Schein, da ist aber auch die harte Arbeit am Stein. Zu ihren bevorzugten Materialien - Reichmuth hat vor dem Kunststudium das Handwerk der Steinmetzin erlernt - gehört der Marmor aus Carrara. Dieser Stein bringt schon allein die ganze Kulturgeschichte des Abendlandes mit. Ihn zu bearbeiten ist also von vorne herein ein Zitat.

Als zeitgenössische Künstlerin hat Reichmuth sich bewusst diesem Anachronismus  ausgesetzt: Das wichtigste Material der Antike ist in der Bildhauerei heute einigermaßen verkitscht. 3D-Roboter meißeln mittlerweile Michelangelos David in Serie aus dem Marmor. Für die Gegenwartskunst braucht es da Schritte in Begrifflichkeit und Konzept, um der althergebrachten „Schönheit“, dem traditionellen „Können“ und der Verführung der „Perfektion“ etwas entgegenzusetzen oder hinzuzufügen. 

Hier greift Reichmuth geschickt zu einer Formensprache, die das Altertum mit Zeitgeschichte oder Mainstream-Zitaten unterlaufen. Ob Astronaut*in oder Master Yoda, es sind keine klassischen Marmor-Motive. Doch - und hier das klassische Element - sie sind handwerklich perfekt und sie verkörpern das Ideal des Lebensechten. 

Die Figur des Astronauten aus Marmor ist gerade einmal 50 cm hoch und zeigt letztlich nur den Raumanzug. Na gut, denkt der Betrachter, dann ist der Astronaut eben weiter weg und deshalb so klein. Auch daran, dass da überhaupt ein Mensch in dem Raumanzug steckt, gibt es für die Wahrnehmung keinen Zweifel. Dabei ist der Astronaut von der Formensprache her sogar noch leicht verniedlicht, das Visier des Helmes opak und er schwebt auch gar nicht sondern steht verkehrt - und fällt dabei nicht um. Die Schwerkraft ist ein wahrer Gegenstand der Bildhauerei.

Auch bei der Serie Pol_position (Polpo ist italienisch für Octopus) zeigt sich schon im Titel das Spielerische. Der Octopus, der aus einer Styroporbox flieht bespielsweise, lebensecht aus Carrara-Marmor, entzieht sich einerseits der klassischen Motivik, bedient sich aber zugleich deren idealischer Mittel: lebensecht eben, dynamisch, fast ein bisschen feucht und glitschig, aber jedenfalls weich und muskulös: die Meisterschaft der Illusion in der Bildhauerei auf die Spitze getrieben und aber in die Bescheidenheit einer Tierdarstellung gepackt. Kein biblischer Held, kein Kaiser oder Gott, sondern ein Tier auf dem Fischmarkt bekommt die Aufmerksamkeit der Künstlerin. Und diese besteht in wochenlanger, harter, präziser Arbeit und es vergehen Ewigkeiten beim letzten Schliff.

Reichmuths Spiel ist also nicht die Verneinung oder die Resilienz, sie kontert die Antike nicht mit Satire oder Kritik, sondern sie bestimmt ihre Motive einfühlsam und klug. um einen fiktiven Helden unserer Zeit, Master Yoda etwa, aus dem weißem Marmor zu hauen, bedarf des Bewussteins, dass auch Zeus, Odysseus und David nur Helden aus Geschichten waren. Und um Geschichten zu Geschichte zu machen, dafür gibt es den Stein. 

Karin Reichmuth lebt und arbeitet in Goldingen und Carrara/Italien. Aufgewachsen in Goldingen, erlernte sie zuerst das Steinmetzhandwerk. Danach absolvierte sie die Akademie der Bildenden Künste in Wien und Studienaufenthalte in Reykjavík, Rom und Carrara wo sie seit 2021 Teil des Atelierprojekts Studio Qi ist. In Salzburg (A) unterrichtete sie als Dozentin an der renommierten Sommerakademie. Ihre Werke finden sich sowohl in privaten, öffentlichen Sammlungen als auch im öffentlichen Raum.

 KulturTopf19